Liebe Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, geschätzte Führungskräfte im Rathaus,
stellen Sie sich vor: Es ist Montagmorgen, und auf Ihrem Schreibtisch liegen gleich drei dringende Anträge zur Weiterentwicklung und Optimierung ihrer Rathausverwaltung:
- Die IT-Abteilung fordert ein neues Programm zur optimierten Verteilung und Bearbeitung der Ein- und Ausgangspost.
- Das Personalamt möchte ein Projekt zum gesundheitsorientierten Arbeiten in der gesamten Belegschaft einführen.
- Der Kämmerer schlägt vor Abteilungen zusammenzulegen, um Kosten für die Anmietung externer Flächen zu reduzieren.
Jeder Antrag verspricht Verbesserungen, hat aber auch Nachteile. Was tun? Welche Entscheidung ist die „richtige“?
Ich habe eine (vielleicht) überraschende Nachricht für Sie: Es gibt bei keinem der Anträge eine eindeutig richtige Entscheidung. Sie können nur falsch entscheiden. Und das ist völlig in Ordnung! In der komplexen Welt der Steuerung und Führung einer Rathausverwaltung bewegen wir uns ständig in einem Feld von Kompromissen und Abwägungen. Jede richtige Entscheidung ist je nach Standpunkt gleichzeitig auch falsch.
Nehmen wir das Beispiel eines Projektes zum gesundheitsorientierten Arbeiten. Der Philosoph Arthur Schopenhauer formulierte einst, dass Gesundheit zwar nicht alles ist, aber ohne Gesundheit alles nichts sei. Wie können dann Bürgermeister und Vorgesetzte mit einer Fürsorgepflicht in diesem Fall keine richtige Entscheidung treffen?
Pro-Argumente:
- Ein gesundheitsorientiertes Arbeitsumfeld im Rathaus verspricht zahlreiche Vorteile. Es fördert nicht nur das Wohlbefinden der Mitarbeiter, sondern steigert auch ihre Motivation und Leistungsfähigkeit.
- Durch präventive Maßnahmen können Krankheitstage reduziert werden, was zu einer höheren Produktivität und Kontinuität in der Verwaltungsarbeit führt. Langfristig betrachtet, können die Investitionen in die Gesundheit der Mitarbeiter zu erheblichen Kosteneinsparungen führen, indem Ausfallzeiten und Krankenkosten reduziert werden.
- Darüber hinaus positioniert sich das Rathaus als moderner, fürsorglicher Arbeitgeber, was die Mitarbeiterbindung stärkt und die Attraktivität bei der Rekrutierung neuer Fachkräfte erhöht. Ein ganzheitlicher Ansatz zum gesunden Arbeiten kann auch die Arbeitsatmosphäre verbessern, den Teamgeist fördern und zu einer positiveren Verwaltungskultur beitragen.
- Nicht zuletzt setzt die Kommune mit einem solchen Projekt ein wichtiges Zeichen für die Bedeutung von Gesundheitsförderung und kann somit auch als Vorbild für andere Arbeitgeber in der Region dienen.
Contra-Argumente:
- Trotz der potenziellen Vorteile gibt es auch gewichtige Argumente gegen die Einführung eines gesundheitsorientierten Arbeitsprogramms im Rathaus. Zunächst einmal stellen die hohen Anfangsinvestitionen für Ausstattung, Schulungen und Programme eine erhebliche finanzielle Belastung dar, die in Zeiten knapper kommunaler Kassen schwer zu rechtfertigen sein könnte.
- Der Zeitaufwand für die Teilnahme an Gesundheitsmaßnahmen während der Arbeitszeit könnte zu Lasten der eigentlichen Verwaltungsaufgaben gehen und die Effizienz beeinträchtigen. Es besteht die Gefahr, dass solche Initiativen als Ablenkung von den Kernaufgaben der Verwaltung wahrgenommen werden und bei Bürgern auf Unverständnis stoßen könnten.
- Datenschutzrechtliche Bedenken bei der Erfassung und Verarbeitung gesundheitsbezogener Daten stellen eine weitere Herausforderung dar. Zudem könnte die möglicherweise ungleiche Nutzung der Angebote durch verschiedene Mitarbeitergruppen zu Spannungen und Ungerechtigkeitsgefühlen im Team führen.
- Kritiker könnten argumentieren, dass Gesundheitsförderung Privatsache der Mitarbeiter sei und nicht in den Zuständigkeitsbereich des Arbeitgebers fällt. Schließlich besteht das Risiko, dass die erwarteten positiven Effekte ausbleiben oder schwer messbar sind, was die Rechtfertigung der Investitionen erschweren würde
Was ist nun die „richtige“ Entscheidung? Die unbequeme Antwort ist: Es hängt von unabsehbar vielen Faktoren, vernetzten Auswirkungen und unbekannten Ursachen ab – der Größe Ihrer Verwaltung, der Altersstruktur der Mitarbeiter, den spezifischen Aufgaben der Abteilungen, den verborgenen Hintergründen von Krankmeldungen und vielem mehr.
Ihre Aufgabe als Führungskraft ist es nicht, die eine perfekte Lösung zu finden. Stattdessen geht es darum, im Rahmen der aktuell verfügbaren Informationen, der Pro und Contra-Argumente eine bestmögliche und sichere Entscheidung zu treffen – wohlwissend, dass sie unvollkommene Kompromisse, überraschende Unsicherheiten und unentdeckte Auswirkungen beinhaltet.
Das mag zunächst frustrierend klingen. Aber ich finde, es ist eigentlich befreiend! Es nimmt den Druck als BürgermeisterIn und Leitung, immer allwissend. allmächtig und unfehlbar sein zu müssen. Stattdessen öffnet es den Raum für offene Diskussionen über das Machbare und eine demütige Grundhaltung.
In kommenden Artikeln werden wir tiefer in solche verwaltungsinternen Entscheidungsszenarien insbesondere aus Sicht von BürgermeisterInnen und Leitungskräften eintauchen. Wir werden uns zum Beispiel Fragen behandeln wie:
- Wie finden wir die Balance zwischen Digitalisierung und bewährten analogen Prozessen?
- Wann ist Zentralisierung sinnvoll, und wann brauchen wir dezentrale Strukturen?
- Wie viel Kontrolle ist nötig, und wo lähmt sie nur die Initiative der Mitarbeiter?
Dabei lassen wir uns maßgeblich von den Ideen inspirieren, die Klaus Eidenschink und Ulrich Merkes von Hephaistos in ihrem Buch „Entscheidungen ohne Grund“ darstellen. Ihre Perspektive auf organisatorische Entscheidungsprozesse bietet wichtige und hilfreiche Einblicke, die wir auf den Kontext der Rathausverwaltung übertragen werden.
Das Ziel ist es, dass Sie mit jedem Artikel und am Ende dieser Reihe…
- gelassener mit verwaltungsinternen Entscheidungsdilemmata umgehen
- kreativer an organisatorische Herausforderungen herangehen
- ein tieferes Verständnis für die Dynamiken in Ihrer Verwaltung entwickeln
In unserem nächsten Artikel widmen wir uns der Frage: Gründlichkeit oder Schnelligkeit – was macht eine gute Verwaltungsentscheidung aus?
Bis dahin bin ich neugierig: Welches interne Entscheidungsdilemma beschäftigt Sie in Ihrer Verwaltung gerade am meisten? Teilen Sie es gerne in den Kommentaren des LinkedIn-Beitrages – vielleicht wird es zum Thema eines der nächsten Artikel!
P.S.: Denken Sie daran – es gibt keine perfekten Entscheidungen, nur bestmögliche unter den gegebenen Umständen, die im nächsten Moment sich bereits verändert haben. Und genau das macht ihre und unsere Arbeit in und mit Kommunalverwaltungen (und Unternehmen) so spannend!
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